Staatspreis Baukultur 2024
© Martin Stollberg

Allgäuer Genussmanufaktur in Leutkirch im Allgäu

Aus der Jury: „Baukultur braucht immer Menschen und Persönlichkeiten, die nicht nur initiativ sind, sondern die Initiative haben.“

Preisträger in der Sparte Mischnutzung und PUBLIKUMSPREIS

Inmitten des Dorfs Urlau, einem Ortsteil von Leutkirch im Allgäu, befand sich ein schon lange brachgefallenes Brauereigebäude von 1904, das kurz vor dem Abbruch stand, als ein Initiativkreis auf die Idee der „Allgäuer Genussmanufaktur“ kam. Ein Initiativkreis, der auch Kern der später gegründeten Genossenschaft war, entwickelte die Immobilie. Entstanden sind Werkstätten und Verkaufsräume für 16 verschiedene Genuss- und Kunsthandwerke. Es gibt u. a. einen Dorfladen mit Café sowie eine Brauerei, Brennerei, Bohnenrösterei, Ölmühle und Bäckerei. Des Weiteren sind Kunstschaffende u. a. aus den Bereichen Keramik, Goldschmiede- und Textilkunst vertreten. Ergänzend wurde ein Saal für Veranstaltungen und Konzerte eingerichtet, der eine imposante Wanddekoration aus im Gebäude vorgefundenen Büchern erhalten hat.

An der Außenhaut des Gebäudes wurde wenig verändert, lediglich neue Fenster, ein Aufzugsturm und eine PV-Anlage wurden hinzugefügt. Durch moderne Einbauten gibt es im Innern einen spannungsreichen Kontrast zum historischen Bestand. Die Umsetzung mit Baumaterialien, die z. T. im Gebäude vorhanden waren, die unkonventionelle Verarbeitung und die flexible Einteilung durch verschiebbare, aber verschließbare Lamellentrennwände machen den besonderen Charme der Manufaktur aus. Finanziert wurden die Maßnahmen zu 90 % durch die Genossenschaft, in der v. a. die Nachbarschaft, regionale Unternehmen und beteiligte Künstlerinnen und Künstler und im Handwerk tätige vertreten sind. Der Rest wurde über LEADER-Mittel finanziert. Das Projekt richtet sich an die Dorfgemeinschaft, die von der Lebensmittelversorgung sowie dem Raumangebot für Veranstaltungen profitiert, ist aber auch eine Attraktion für Gäste der Region.


Jury-Bewertung

Ohne die Initiative des Ideengebers und heutigen Vorstands der Heimat- und Bürgergenossenschaft "Allgäuer Genussmanufaktur" Christian Skrodzki wäre dieses Projekt wahrscheinlich nicht zustande gekommen. Baukultur braucht immer Menschen und Persönlichkeiten, die nicht nur initiativ sind, sondern die Initiative haben. So geschehen bei dem im Allgäudorf Urlau schon lange leergefallenen und unansehnlichen Brauereigebäude, das nicht mal unter Denkmalschutz stand und deshalb auch unter Abschreibungsgesichtspunkten für übliche Investoren uninteressant war. 

Die von einem ehrenamtlichen Initiativkreis 2017 gegründete Bürgergenossenschaft mit fast 1.000 Mitgliedern kümmerte sich dann mit professionellem Ergebnis um das Gebäude. Sie entwickelte nicht nur das Nutzungskonzept mit Daseinsvorsorgecharakter, das der Gemeinde nach mehr als 30 Jahren wieder einen Laden und eine Bäckerei verschaffte. Sie finanzierte darüber hinaus mit ihren Genossenschaftsanteilen nahezu das gesamte Vorhaben. 

Die pragmatisch handwerkliche Vollsanierung und der unkonventionelle Ausbau „mit Seele“ basieren also nicht nur auf zupackender Eigenhilfe, sondern sind auch Ergebnis eines knappen Budgets von etwa 1.250 Euro/m² Umbaukosten. Darin enthalten ist auch die Photovoltaikanlage auf dem Dach. Die Leitungen wurden aus Kostengründen auf Putz geführt und der Beton zum Teil roh belassen. Auf teure Haustechnik und DIN-gerechte Technische Gebäudeausstattung wurde bewusst verzichtet. Heute würden wir sagen, in der Eigenverantwortung von kundiger Bauherrschaft sowie klugen Planenden und Ausführenden ein „Gebäudetyp E“ – „E“ für einfach, elementar, echt, ehrlich und exzeptionell. 

Die Jury ist rundherum überzeugt von dem Ergebnis. Sie freut sich, wenn dieses hervorragende Beispiel für Mischung und eine neue Um-Baukultur auch anderenorts noch häufig Schule macht.