Staatspreis Baukultur 2024
© Martin Stollberg

Wilhelmsstift in Tübingen

Aus der Jury: Mit wenigen sparsamen Eingriffen und Maßnahmen, ist es trotz aller Brüche gelungen ein stimmiges Ensemble zu schaffen – vom Freibereich bis hin zum Detail in den neuen alten Innenräumen.“

Anerkennung in der Sparte Bauen für Bildung und Forschung

Im Zentrum Tübingens wird eine vierflügelige Klosteranlage aus dem 16. Jhdt. seit mehreren Jahren kontinuierlich zu einer zeitgemäßen Ausbildungs- und Wohnstätte für Studierende umgebaut. Die Spuren früherer Umbauphasen werden dabei berücksichtigt und soweit möglich und sinnvoll integriert. Neue Teile werden behutsam in den historischen Bestand eingefügt, sodass Einbauten und Materialien als zeitgenössische Elemente ablesbar bleiben. Unpassende frühere Einbauten werden zurückgebaut.

Der Ostflügel der Anlage, der zuletzt in den 1970/80er Jahren im Stil der damaligen Zeit komplett erneuert worden war, wurde aktuell saniert. In der Bibliothek ist dabei der Rezeptionsbereich geöffnet worden und durch neue Fenster, neue Fußböden und die Sanierung der Treppe wirkt sie nun heller und offener als vorher. Außerdem wurden neue Arbeits-/Leseplätze eingerichtet.

Der darüber befindliche zweigeschossige Trakt mit den Studierendenzimmern, die jeweils einen "Beton-Erker mit Oberlicht" haben, wurden weitgehend erhalten, aber die Flure, Zwischenwände, Teeküchen und Sanitäranlagen wurden erneuert und farblich neugestaltet. Die Zimmer bekamen neue Böden und Möbel sowie einen hellen Anstrich.

Alle Maßnahmen wurden mit den Beteiligten bzw. Betroffenen (z. B. Bibliothekarin, Studierende, Verwaltung) intensiv abgestimmt.

Das kräftige Farbkonzept, die stimmigen Materialkombinationen und ein dezentes Beleuchtungskonzept sind wichtige Bestandteile dieser Sanierungsmaßnahme.


Jury-Bewertung

Wie fast alle alten Häuser, so hat auch das Wilhelmsstift in Tübingen eine bewegte Vergangenheit – auch in baulicher Hinsicht. Die historische Vierflügelanlage mit originalen Bauteilen des 16. Jahrhunderts wurde bis ins frühe Zwanzigste Jahrhundert immer wieder verändert und ergänzt. In den späten 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts kamen umfangreiche Neu- und Ausbauelemente hinzu. 

In mehreren Etappen haben sich die Architektinnen und Architekten zum Ziel gesetzt, die Qualitäten und Potenziale der bestehenden Bereiche aus unterschiedlichen Bauzeiten zu analysieren, um „konzeptionell tragfähige Ableitungen für eine Versöhnung der entstandenen Brüche zu finden und zugleich die Lesbarkeit und das Erleben der verschiedenen Strukturen in den Innen- und Außenräumen zu verbessern.“ Das ist Ihnen außerordentlich gut gelungen! 

In Zeiten, in denen wir uns – im Hinblick auf den Umgang mit unseren Ressourcen – bemühen müssen, so viel Bausubstanz wie möglich zu erhalten, müssen wir auch wieder lernen, Bauten und Bauteile, die uns auf den ersten Blick vielleicht wenig ansprechen, in schlüssige architektonische Gesamtkonzepte zu integrieren. Genau das war auch die Strategie beim Umbau des Wilhelmstifts: Bauteile aus unterschiedlichsten Epochen, wurden zusammengeführt, verschmolzen, getrennt, voneinander abgesetzt – und dennoch ist es dabei gelungen, mit wenigen sparsamen Eingriffen und Maßnahmen, trotz aller Brüche ein stimmiges Ensemble zu schaffen – vom Freibereich bis hin zum mal feinen, mal pragmatischen Detail in den neuen alten Innenräumen.