Bauen und Wohnen im Bestand Stuttgart: Aufstockung Verlagshaus Thienemann

Der Hauptsitz des Thienemann Verlags im Zentrum Stuttgarts wurde umfassend saniert und neuen Nutzungsanforderungen angepasst, ohne den historischen Bestand gestalterisch zu beeinträchtigen. Im Gegenteil: Die Klinkerfassade konnte wiederhergestellt werden, während das neue Dach mit modernen und natürlich beleuchteten Arbeitsplätzen sich in die historische Dachlandschaft einfügt.

 

Zusammenfassung

Der Hauptsitz des Kinderbuchverlags Thienemann in einem historischen Gebäude im Stuttgarter Zentrum konnte heutigen Bedürfnissen entsprechend saniert und umgebaut werden. Die sanitären und haustechnischen Anlagen wurden grundlegend modernisiert und das Bauwerk barrierefrei gestaltet. Gleichzeitig wurde der historische Bestand nicht etwa nur bewahrt, sondern sogar weiter freigelegt.

Die klassizistisch beeinflusste Klinkerfassade wurde weitestgehend wiederhergestellt und von unnötigen Anbauten befreit. Auch das provisorische Dach wurde abgerissen und durch einen modernen Aufbau ersetzt, der heutige Büronutzung ermöglicht und gleichzeitig die historische Dachlandschaft ergänzt. Der neue Dachaufbau setzt sich selbstbewusst mit den historischen Gegebenheiten auseinander und steht stellvertretend für ein Konzept, das den Balanceakt zwischen angebrachtem Respekt für das Überlieferte und selbstbewusste Bereicherung durch das neue in ein harmonisches Erscheinungsbild gießt.

Ausgangslage

Das Gebäude aus dem Jahr 1899 liegt am südlichen Rand des Stuttgarter Stadtzentrums. Ein besonderes Merkmal des Gebäudes ist die Klinkerfassade vor allem zur nördlich gelegenen Blumenstraße hin. Die vier Hauptgeschosse wurden zum größten Teil vom alteingesessenen Stuttgarter Verlagshaus Thienemann genutzt. Die beiden ursprünglichen Dachgeschosse wurden 1945 zerstört und mit einem Notdach provisorisch ersetzt. Dort befanden sich seitdem Lagerräume des Verlagshauses. Weitere Anbauten im Laufe der folgenden Jahrzehnte verstellten den Blick auf den historischen Bestand.

Die Nutzer des Gebäudes litten lange unter dem erheblichen Modernisierungs- und Sanierungsstau im Gebäude und arbeiteten unter unzeitgemäßen Bedingungen. Eine Sanierung musste zwingend die sanitären und haustechnischen Anlagen erneuern, eine barrierefreie Erschließung des Gebäudes herstellen und die Infrastruktur insgesamt auf den Stand der Zeit bringen. Es sollten zusätzliche, helle Büroräume und ein kommunikativeres Raumgefüge mit gemeinschaftlichen Einrichtungen, wie Besprechungsräumen und Teeküchen, geschaffen werden.

Massnahmen

Mit Rücksicht auf die historische Struktur und in Abstimmung mit dem Denkmalamt wurde das Gebäude schließlich umfangreich saniert, modernisiert und erweitert. Hierzu wurde zunächst der marode Dachaufbau abgerissen und ein neues Dachgeschoss erstellt. Der Aufbau des Daches fügt sich formal in die bestehende Dachlandschaft ein und bewahrt so die Wirkung der historischen Klinkerfassade zur Blumenstraße hin.

Die straßenseitige Dachfläche zu zwei Dritteln zurückgesetzt und bildet in diesem Bereich eine schmale Terrassenzone. Das andere Drittel mit Glasfassade entspricht in seiner Neigung dem des historischen Daches. Das Gesims der historischen Fassade wurde nicht tangiert. An der Hofseite stützt sich das neue Dach auf den Bestand und faltet sich über den bestehenden Raum. Ein Fensterband garantiert an dieser Seite die notwendige Belichtung.

Alle Maßnahmen wurden in Rücksichtnahme auf die bestehende Tragstruktur ausgeführt. Die Dachkonstruktion besteht aus schlanken, hellen und raumbildenden Holzsparren beziehungsweise Spanten im Abstand von 90 Zentimetern. Die Sparren liegen hofseitig auf dem Bestandsmauerwerk auf und wurden im Bereich der Fassade zur Blumenstraße hin mittels Stahlstützen auf die vorhandene Konstruktion aufgesetzt. Die Dacheindeckung ist aus Metall. Die transparente Glasfassade zur Blumenstraße hin besteht aus einer filigranen Stahl-Glas-Konstruktion. Die Giebelwände haben eine hinterlüftete Konstruktion, die mit Faserzementtafeln verkleidet wurde. Die Entwässerung des Dachgeschosses erfolgt über die vorhandenen Entwässerungsleitungen, die Be- und Entlüftung über Lüftungsklappen.

Im neuen Dachgeschoss, das auch die Aufzugtechnik aufnimmt, wurden Einzelbüros für Lektoren des Verlagshauses ("Lektorenzellen") inklusive eines neuen Besprechungsraums eingerichtet. Ihre Wände sind teilweise transparent aus Glas und nehmen damit die Dachkonstruktion konzeptionell wieder auf. Die Anordnung der Einzelbüros für Lektoren erfolgte an den Längsseiten des neuen Dachgeschosses, während für den Verlag wichtige Archivflächen in der natürlich belichteten Mittelzone untergebracht sind. Aufgrund der Nordausrichtung der Glasdachflächen konnten blendfreie Arbeitsplätze eingerichtet werden, die nicht durch Sonneneinstrahlung überhitzen und den Bedarf nach elektrischer Beleuchtung weitgehend minimieren.

Auf der Hofseite des Gebäudes konnten ein angebauter Lastenaufzug abgebrochen, eine Hofüberdachung und -einhausung entfernt sowie die historischen Öffnungen in der Fassade wiederhergestellt werden. Auf eine zusätzliche Dämmung wurde verzichtet, damit die historische Klinkerfassade zur Blumenstraße hin restauriert werden konnte. Im Inneren verbindet nun ein neuer Personenaufzug am Haupttreppenhaus alle Geschosse, die jeweils mit modernen sanitären Anlagen sowie gemeinschaftlichen Teeküchen ausgestattet wurden. Die Eingangstüren wurden modernisiert und Fensterelemente, wenn notwendig, ersetzt.